Sebastian Metzner: Kommen wir zum zweiten Macro-Trend, den wir in diese Folge mit einbringen wollen. Und der heißt Diversity Awareness. Ein Thema, was sehr, sehr groß und auch fast genau so komplex ist, wie das Thema Circular Economy, glaube ich. Jessi, lass uns doch einmal mit dem Thema starten. Welche Entwicklungen sehen wir hier vor uns, was sind eigentlich die Veränderungen, die diesen Trend gut beschreiben?
Jessica Werner: Genau. Also, um es vielleicht erst einmal ein bisschen greifbarer zu machen. Es geht bei Diversity Awareness grundsätzlich darum, dass man erkennt, dass Menschen unterschiedlich sind und dass sie damit einhergehend unterschiedliche Bedürfnisse haben. Und vor allem, und das finde ich eigentlich den wichtigsten Punkt, dass man diese Vielfalt und diese Unterschiede zwischen Menschen wertschätzt. Und wir sehen, dass das immer stärker wahrgenommen wird in der Gesellschaft. Also, dass Unterschiede und die Diversität, unterschiedliche Ausgangspunkte und Perspektiven von Menschen, stärker wahrgenommen werden. Und dass, auch mit der Corona-Pandemie wieder aber auch generell, immer mehr auch so Versäumnisse bisher und Ungerechtigkeiten und Diskriminierungen offensichtlich werden. Und Menschen das aufdecken, hinterfragen und einfordern, dass das so nicht weiter gehen kann, sondern wir eben Chancengerechtigkeit herstellen müssen. Und dafür braucht es beispielsweise im Arbeitskontext ein inklusives Umfeld. Aber wir brauchen auch Inklusion in der Infrastruktur. Wir brauchen ein inklusives Produkt und Servicedesign und so weiter. Also, wie du gesagt hast, ist es ein super breites Thema. Wenn wir hier in Deutschland, oder generell auch immer vom Schlagwort Diversity oder meinetwegen auch Diversity Equity und Inclusion sprechen, dann sprechen wir davon ganz oft als so eine Recruiting-Sache. Aber es ist viel mehr als das. Es ist ein übergreifendes Thema. Was sich zum einen natürlich intern in der Gestaltung von Teams und im Recruiting zeigt, aber eben auch extern. Wie gestalte ich meine Angebote? Wie kommuniziere ich beispielsweise? Und generell in unserer Gesellschaft, wie gestalten wir unsere Infrastruktur, Bildung, alles? Wie gehen wir mit dieser Diversität der Gesellschaft um, um Chancengerechtigkeit herzustellen. Um dadurch letztendlich für Inklusion zu sorgen. Dafür braucht es erstmal dieses Bewusstsein, das ist ganz grundlegen. Aber damit hört es eben auch nicht auf.
Sebastian Metzner: Bei einigen Unternehmen hat man ja manchmal das Gefühl, dass es nicht nur ein Recruitingthema ist, sondern fast so ein social Media Thema ist. (Jessica Werner: Total.) Dass man sich quasi überbietet, ja, unser Firmenlogo ist jetzt auch regenbogenfarben. Guckt mal. Das ist teilweise auch echt plump, wie Unternehmen da auf den Zug aufspringen und das im Kern gar nicht so begriffen haben.
Peter von Aspern: Ja. Einige Unternehmen die ich kenne, die haben sehr bewusst überlegt, sollen wir unsere Logos gerade in den Pride Months in den Regenfarben gestalten? Die haben gesagt, nein, wir sind intern noch nicht so weit. Wir sollten diesen Schritt nicht machen. Da gab es sicherlich auch Auseinandersetzungen, die da leichtfertige Ergebnisse dann doch mal stärker hinterfragt haben. Ja, es ist auf jeden Fall ein Thema was natürlich in der Aufmerksamkeitsökonomie hoch gehandelt wird. Ich frage mich halt in der Tat, welche Rolle spielen so tipping Points? 2020 der gewaltsame Tod von George Floyd in Minnesota war, glaube ich, so ein tipping Point in der Vergangenheit. Ich frage mich, was sind auch gerade in Deutschland andere tipping Points, um dieses Thema noch weiter nach vorne zu treiben. Wird das Thema von tipping Points getrieben, Jessi?
Jessica Werner: Ich denke, auf jeden Fall. Also ich meine, das können wir ja auch eigentlich nicht leugnen, dass diese tipping Points ausschlaggebend sind. Natürlich wäre das ideal, wenn uns das allen schon lange bewusst ist und wir uns damit schon vor zehn Jahren auseinandergesetzt hätten. Aber es ist uns allen klar, dass gerade dieses Diversity-Thema durch den Tod von George Floyd, was ja kein deutsches Thema war, aber einfach so durch die Medien ging, dass eben auch wir in Deutschland gemerkt haben, okay, anscheinend gibt es immer noch viele Ungleichheiten, Ungerechtigkeiten und Rassismus. Auch wenn wir das nicht sehen wollen. Gerade in Deutschland haben wir das, glaube ich, ein bisschen wegignoriert und solche Ereignisse sind auf jeden Fall prägend. Aber da gab es ja auch andere Themen. Beispielsweise Polizeigewalt. Dann die Diskussion über die Studie über die Polizei in Deutschland war auch nochmal ein brisantes Thema. Das führt uns das nochmal vor Augen. Und führt natürlich auch auf social Media zu viel Content, viele Aktivist*innen werden da aktiv und teilen auch eigene Geschichten. Uns ist allen klar, dass wir das Thema ein bisher ein bisschen vernachlässigt haben. Solche großen Ereignisse-. Oder auch Shitstorms meinetwegen. Es gab ja auch einmal diese WDR-Sendung, ich weiß nicht, ob ihr euch daran erinnert, wo Dinge gesagt wurden von bekannten deutschen Prominenten. Black facing Geschichten erzählt wurden. Was für riesige mediale Aufschreie gesorgt hat. Wir werden dafür einfach durch solche tipping Points in der Gesellschaft sensibilisiert und es gibt lautere Aufschreie, wenn was schiefläuft. Und dadurch steigt natürlich der Druck. Dadurch steigt einmal der Druck von den Medien so was nicht mehr zu produzieren. Aber auch auf Unternehmen, dass sie sich mit diesen Themen auseinandersetzen müssen. Dass gerade die junge Generation das einfordert und man da nicht einfach sagen kann, nein, das ist in Deutschland nicht so ein Thema.
Peter von Aspern: Du hast eben den Begriff Chancengerechtigkeit benutzt. Da würde ich gerne nochmal drauf eingehen. Es gibt ja Chancengleichheit. Das ist ja ein Begriff der oft in der Politik auftaucht, als so eine Grundprämisse, wir müssen mehr Chancengleichheit zum Beispiel im Bildungssektor herstellen. Stichwort soziale Durchlässigkeit. Du sprichst ja jetzt ganz bewusst von Chancengerechtigkeit. Vielleicht kannst du das nochmal erklären, was du damit meinst und was der Unterschied ist zum Begriff Chancengleichheit.
Jessica Werner: Ich verwende den Begriff immer sehr bewusst. Ich sage sehr bewusst Chancengerechtigkeit und nicht Gleichheit, weil das eben genau der Punkt ist, dass man sich bewusst sein muss, dass Menschen unterschiedlich sind. Und nur, weil ich fünf verschiedenen Menschen die gleiche Chance gebe, haben sie nicht dieselben Ausgangsvoraussetzungen. Deswegen ist es am Ende nicht eine gerechte Verteilung, weil Menschen ganz unterschiedliche Startpunkte haben. Es gibt so ein Bild, da stehen fünf Personen vor so einer Mauer. Das Ding ist, dass natürlich manche Menschen größer sind und manche sind kleiner. Und am Ende steht da halt jeder ebenerdig davor und jeder hätte jetzt die gleiche Chance darüber zu kommen. Aber das ist am Ende nicht die gleiche Chance. Wenn du zwei Meter groß bist oder 1,50 ist es vielleicht für die 1,50 Person schwieriger da rüber zu kommen. Und dann muss ich vielleicht manchen Menschen einen kleinen Hocker geben oder so, damit sie am Ende halt eine gerechte Chance haben, da auch rüber zu kommen. Das müssen wir in der Gesellschaft, finde ich, noch ein bisschen lernen, dass wir einfach nicht die gleichen Voraussetzungen haben. Und nur, weil ich dann versuche allen Menschen das Gleiche zu geben, haben wir nicht die gleichen Outputs. Ich selber zum Beispiel bin einfach in einer privilegierten Situation gestartet, weil ich aus einer deutschen, weißen Familie komme. Uns ging es nie schlecht. Ich hatte jede Möglichkeit zur Bildung. Das ist einfach ein Privileg. Damit hatte ich eine ganz andere Startposition als andere Menschen.
Peter von Aspern: Das ist auch sicherlich ein Punkt, wo man hier in Deutschland sich seinen Privilegien bewusster wird. Man wird sensibilisiert für dieses Thema. Es ist eher ein sehr weiches Thema. Gibt es denn auch quantitative Fakten, Jessi, die ihr euch anschaut, die dieses Thema auch nochmal von der Datenseite untermauern?
Jessica Werner: Prinzipiell arbeiten wir überwiegend qualitativ. Da haben wir ja vorhin schon drüber gesprochen mit den micro Trends und den Signalen. Aber es stimmt natürlich, dass es ein relativ schwammiges Thema ist. Vor allem da sind natürlich auch quantitative Daten ganz interessant. Es ist zum Beispiel ganz spannend, es gibt eine LinkedIn-Studie, das sind allerdings Daten aus den USA, aber dass wir ein einundsiebzigprozentiges Wachstum in den letzten fünf Jahren hatten was so Diversity-Rollen angeht. Was auch schon ein bisschen zeigt, dass Unternehmen irgendwie sehen, wir müssen dafür tatsächlich auch Verantwortlichkeiten schaffen. Das ist auch nicht so eine on top Aufgabe oder so eine Aufgabe von Leuten die besonders engagiert im Unternehmen sind oder sich dafür mal privat Zeit nehmen und sich einsetzen wollen. Sondern das braucht Raum. Und das braucht auch Raum auf Managementebene und auf Führungsebene. Dann nicht nur im Marketingteam. Weil es eben kein Kommunikationsthema ist. So was sehen wir schon. Da ist es natürlich auch immer ganz hilfreich Zahlen zu sehen. Und es ist auch ganz spannend, sich dann auch mal von der BeyondGenderAgenda den Diversity-Index anzuschauen und zu schauen, welche Unternehmen machen da eigentlich was? Und das auch da irgendwie dann trotzdem noch sehr viel Luft nach oben ist. Solche Zahlen schauen wir uns schon an. Und wir sehen auch, dass sich da was bewegt in Deutschland, aber eben noch sehr langsam.
Peter von Aspern: Du hast es gesagt, Kommunikationsthema, HR-Thema, das sind, glaube ich, die Aufgaben und Rollen die in Unternehmen stark ausgebaut werden. Du hast mal die schöne Gleichung genannt, bedeutet mehr Diversität auch gleich mehr Innovationskraft für Unternehmen? Muss man nicht auch im Innovationsmanagement oder in Innovationsteams dieses Thema Diversity stärker einbauen? Und wenn ja, treibt es auch dann die Innovationskraft?
Jessica Werner: Ich glaube auf jeden Fall, ja. Das ist eigentlich auch relativ logisch. Wenn wir uns das überlegen, wenn ein Team einfach diverser ist, dann habe ich viel mehr Perspektiven die ich einbeziehen kann und viel mehr vielfältiges Wissen auf das ich zurückgreifen kann. Unterschiedliche Erfahrungen die Menschen mitbringen. Also was ja auch wichtig ist, Diversität hat ja super viele Dimensionen. Diversität ist eben nicht nur das Geschlecht oder mal eine ethnische Herkunft, sondern alle Menschen sind einfach unterschiedlich und bringen unterschiedliche Perspektiven mit ein. Wenn ich natürlich in einen Raum fünf Menschen mit ganz unterschiedlichen Erfahrungen setze, habe ich mehr Reibung. Dann ist das Gespräch vielleicht anstrengender, aber daraus kann auch sehr viel mehr entstehen, als wenn ich eine sehr homogene Gruppe an Menschen da reinsetze. Da können dann beispielsweise auch Lösungen für Probleme entstehen, von denen wir jetzt beispielsweise gar nichts wüssten, dass diese Probleme existieren. Weil sie uns in unserem Leben nicht betreffen. Das heißt, ich glaube, in Diversität liegt eine wahnsinnige Chance für Unternehmen und gerade auch für Innovationsabteilungen. Weil uns, glaube ich, sehr viel entgeht, wenn wir immer nur in unserer eigenen Perspektive bleiben. Wir können dadurch vielleicht verschiedene Perspektiven im Sinne von neuen Zielgruppen erreichen. Vielleicht sehe ich, ah, mein Produkt das spricht gerade so wie ich es kommuniziere oder wie ich es gestalte, gar nicht alle an. Oder ich schließe vielleicht auch viele Gruppen aus, weil mein Produkt nicht zugängig ist oder mein Service nicht zugängig ist. Aber es kann auch sein, dass mir dadurch ganz neue Ideen kommen. Weil ich mir denke, ah, da gibt es eine große Lücke. Da können wir irgendwas reinbringen was bisher irgendwie noch niemand sonst gesehen hat. Ich glaube, in Diversität liegt ein wahnsinniger Mehrwert, dem sich Unternehmen bewusst sein müssen.
Sebastian Metzner: Ich finde, das sieht man auch sehr schön an dem Thema frugale Innovation. Was wir hier auch schon mal besprochen hatten im Podcast. Wo man eben sehr schön als ein Beispiel gesehen hat, wie wichtig Diversität auch Innovationsprozessen sein kann. Weil man da auch gesehen hat, dass Unternehmen, die versuchen mit ihren Ingenieursteams aus Mitteldeutschland heraus sich zu überlegen, was denn wohl der Landwirt in China braucht. Dass das grandios schief geht. Du kannst von hieraus überhaupt nicht die Umwelt- und Rahmenbedingungen und Lebensumstände von Menschen am anderen des Planeten voraussehen. Nur mal so als ein Beispiel, wo es sich auch schon niederschlägt. Wo du merkst, okay, du musst halt versuchen da diese Menschen, die dort vor Ort sind, einzubeziehen, um tatsächlich diese Diversität herzustellen. Um sich auch besser in diese Zielgruppen hineinversetzen zu können. Weil sonst kriegst du diese Probleme nicht richtig gefasst. Nur, um mal ein konkretes Beispiel zu nennen, wie du das eben tatsächlich in den Innovationsprozess integrieren kannst. Aber weißt du was? Meine Frage wäre, ob es nicht ein bisschen so ist, dass innovative Unternehmen eher dazu neigen, auch Diversität zuzulassen. Dass es aktuell eher noch andersrum ist, weißt du? Dass Unternehmen, die sowieso schon eine open minded DNA haben und offen für Neues sind und ein innovatives Gen haben, welche die mutmaßliche Diversität sowieso schon zulassen. Da hast du natürlich so einen Zirkelschluss. Ich glaube, das muss sich jetzt ein bisschen mehr drehen. Dass Unternehmen, die sich aktuell schwer tun wirklich originäre, neue Dinge zu innovieren, denen würde vermutlich Diversität tatsächlich gut tun, um da weiter nach vorne zu kommen.
Peter von Aspern: Ja. Das könnte eine These sein, Peter. Aber gerade in Deutschland und das ist ein kritischer Punkt, den ich nochmal hinterfragen will, Deutschland tut sich aus meiner Wahrnehmung ein bisschen schwerer mit dem Thema Diversität. Jessi, was sind denn aus deiner Sicht die Gründe dafür?
Jessica Werner: Ich glaube, dass es, wenn wir in Deutschland über Diversität sprechen, häufig um so eine Frauenquote geht. Dass es nur um ethnische Herkunft oder wie Peter vorhin schon angesprochen hat, um so ein Diversitätsaktionismus geht. Dass ich irgendwie Solidarität zeige. Aber dass wir noch nicht so wirklich verstanden haben, was Diversität eigentlich bedeutet und wie viele Dimensionen das umfasst. Dass wir uns auch mit ganz vielen Diversitätsdimensionen noch gar nicht so vertraut gemacht haben. Und dass es erst langsam in Deutschland mal in die Köpfe der Leute kommt. Beispielsweise sehe ich in meinem social Media Feed gerade sehr viel über Neurodiversität und finde das super spannend. Weil das war einfach vorher auch, obwohl ich mich viel mit dem Thema auseinandersetze, mir nicht so klar, was das wiederum für Menschen bedeutet.
Peter von Aspern: Was ist denn Neurodiversität?
Jessica Werner: Grundsätzlich alles Mögliche an Themen. Wenn Leute zum Beispiel ADHS haben. Das ist beispielsweise in unserer Gesellschaft total tabuisiert oder findet nicht so statt im Erwachsenenalter. Aber davon sind viele Menschen, ich weiß nicht, ob betroffen der richtige Begriff ist, aber das betrifft viele Menschen. Und bringt halt wahnsinnige eigene Bedürfnisse mit sich. Weil, du arbeitest ganz anders. Das heißt nicht, dass du schlechter arbeitest, aber du brauchst andere Rahmenbedingungen. Solche Themen kommen erst gerade langsam in Deutschland auf das Radar von Leuten. Dann ist auch noch ein wahnsinnig wichtiger Punkt, das nehme ich zumindest subjektiv wahr, dass wir in Deutschland dazu neigen, zu sagen, dass wir keine Unterschiede sehen. Was bestimmt auch einen historischen Kontext hat und irgendwie auch verständlich ist. Aber wir sagen oft, für uns sind alle Menschen gleich. Wir sehen keine Unterschiede. Ich behandele alle gleich. Das ist für mich alles kein Problem. Das heißt auch nicht, dass es eine falsche Einstellung ist, aber es behindert in dem Sinne den Fortschritt. Weil, wenn ich keine Unterschiede sehe, ist es genau der Punkt, dass ich keine Chancengerechtigkeit herstellen kann. Und gerade so Punkte wie zum Beispiel soziale Herkunft, wollen wir in Deutschland auch nicht so wahrhaben, was für einen krassen Einfluss das hat. Aber ich glaube, nur 15 Prozent der Kinder aus nicht Akademikerhaushalten machen einen Bachelor-Abschluss. Was einfach zeigt, dass das nicht so durchlässig ist das System, wie wir es vielleicht gerne hätten oder es in unseren Köpfen ist. Das müssen wir uns auch erstmal eingestehen und ein bisschen wegkommen von dem, dass wir keine Unterschiede sehen. Sondern uns eben eher diese Unterschiede mal bewusst machen. Uns die eigenen Privilegien bewusst machen. Da brauchen wir in Deutschland noch ein bisschen Zeit. Das fängt erst langsam an. Da sind wir im Vergleich zu anderen Ländern einen Schritt zurück. Ich glaube, weil wir das einfach länger ein bisschen versucht haben zu vermeiden, weil es ja auch ein kritisches Thema mit unserer Vergangenheit in Deutschland ist. Aber es ist einfach wichtig, dass wir diese Unterschiede mehr sehen, mehr thematisieren, da offen sind und auch einfach zuhören. Ich glaube, ein wichtiger erster Schritt in Deutschland wäre es, einfach erstmal zuzuhören. Mehr diverse Stimmen zu Wort kommen zu lassen. Und dann reicht auch Diversität noch nicht aus. Wir müssen dann auch schauen, dass die Leute gerechte Chancen bekommen und am Ende ein inklusives Umfeld da ist. Und auch da haben wir noch wahnsinnig viel zu tun in Deutschland.
Peter von Aspern: Ja. Ich muss dabei immer an den Soziologen Andreas Reckwitz denken. Der hat ein Buch geschrieben, die Gesellschaft der Singularitäten. Der beschreibt im Grunde, wie Sozialinstitutionen, wie Vereine, Kirchen und Parteien, so zerfallen. Das waren früher alles Dinge, die haben diese Gleichheit quasi hergestellt. Die zerfallen ein Stück weit. Das heißt, jetzt werden natürlich die Unterschiede Stück für Stück immer offensichtlicher. Ich glaube ehrlich gesagt, durch diese stärkere Individualisierung werden wir uns diese Unterschiede bewusst. Ich frage mich nur, was nach unten sozusagen die bottom Line ist? Wie verschieden kann jedes einzelne Individuum sein, dass man trotzdem noch einen gemeinsamen Kern hat auf den man sich verständigen kann? Weil, wenn wir uns alle als N gleich eins sehen, was wir ja im Grunde in der Tat sind, als einzigartige Individuen wahrnehmen, brauchen wir dann trotzdem immer noch Bezugspunkte auf die man sich beziehen kann. Weil, Solidarität ist ja auch in Zeichen von Corona ein unheimlich starkes Wort gewesen auf das man sich dann bezieht. Diese Balance zwischen der Unterschiedlichkeit des Einzelnen, aber trotzdem der Solidarität als Gruppe, das ist halt auch ein schwieriges Unterfangen. Aber mir wird immer bewusst, dass es ein interessantes Spannungsfeld ist in dem wir immer mehr leben. Und dass das von der jungen Generation aber gefühlt einfacher und besser gehandelt wird, als von den Älteren. Ist das auch ein Generationsthema? Wenn man es vielleicht ganz stark vereinfachen will.
Jessica Werner: Ich verstehe, was du meinst mit dem Spannungsfeld. Ich finde aber, das sind Themen die sich nicht ausschließen. Weil, wenn sich prinzipiell jeder in der Gesellschaft irgendwie inkludiert fühlt, hast du vielleicht auch eine solidarischere Gesellschaft. Jetzt einfach mal so mein erster Gedanke dazu. Ansonsten glaube ich, dass es auf jeden Fall ein Generationsthema ist. Einfach, weil die jüngere Generation mit viel mehr Diversität aufgewachsen ist. Wir haben einfach viel mehr Zugang. Es ist viel offensichtlicher für uns wie unterschiedlich Menschen sind. Meine Eltern, keine Ahnung, wo haben die Informationen herbekommen? Aus dem Fernsehen oder so. Wie unterschiedlich waren da die Menschen? Gar nicht wirklich. Wenn du jetzt durch deinen Tiktok-Feed scrollst meinetwegen, um mal ein ganz stereotypes Beispiel zu nennen, aber es ist so, dann ist da einfach die Diversität wahnsinnig hoch. Das heißt, ich habe einen viel leichteren Zugang zu sehr viel diverseren Lebensrealitäten, als meine eigene. Und das macht es für mich natürlich sehr viel einfacher, das alles auch wahrzunehmen und auch Menschen in ihren Unterschieden wahrzunehmen. Und dann dafür auch sensibler zu sein. Weil, es ist oft nicht so, dass eine ältere Generation das aus einer bewussten Ignoranz heraus macht, sondern es ist einfach fremder für sie. Weil da einfach weniger Zugang zu war. Und weniger Diversität in unserer Gesellschaft sichtbar war vor einigen Jahren. Wenn du natürlich da einfach mit sehr viel mehr Repräsentation von verschiedenen Gruppen aufwächst, dann ist es einfacher für dich. So ist es einfach.