Peter von Aspern: Ja, das habe ich mich tatsächlich auch gefragt. Wie gesagt, die Beispiele von Unternehmen, auf die das zutrifft, die hatten wir auch am Anfang schon. Das waren eben Kelloggs und Coca-Cola und so weiter. Das trifft man heutzutage, glaube ich, eher nur noch selten an, vielleicht in bestimmten industriellen Nischen möglicherweise. Aber wenn man sich die großen Märkte anguckt, dann sind die ja gefühlt alle heute von einer hohen Dynamik geprägt. Also ich glaube, für die meisten unserer Zuhörer*innen wird das nicht die typische Situation sein. Deshalb arbeiten wir uns einmal weiter vor und gucken, wenn wir die Dynamik ein bisschen hochdrehen auf den verschiedenen Seiten, was dann passiert.
Sebastian Metzner: Erzähl mal ganz kurz: Was passiert, wenn man das ganze Thema Marktwachstum jetzt einmal von langsam auf schnell schaltet, technologisch aber immer noch wenig passiert?
Peter von Aspern: Ja, genau, da gibt es ein super Beispiel, was ich finde, was total vor Augen führt, und zwar der Walkman. ich weiß nicht, hattest du einen Walkman?
Sebastian Metzner: Ja, ich hatte auf jeden Fall einen Sony Walkman.
Peter von Aspern: Ich hatte tatsächlich auch noch einen. Die gibt es ja schon seit 1979. Da wurde der erste Walkman von Sony eingeführt. Der basierte tatsächlich technologisch gesehen nicht auf neuen Dingen, sondern das waren alles eigentlich ausgereifte, vorhandene Technologien. Die Leistung war sicherlich das Thema Miniaturisierung und User Experience. Aber im Kern war das alles technologisch relativ stabil. Auch in der Zeit danach, das waren dann locker noch einmal über zehn Jahre, die der Walkman unangefochten am Markt unterwegs war, bis dann tatsächlich später diese Discman kamen. Aber selbst zehn Jahre nach Markteinführung hatte der Walkman von Sony immer noch fast 50 Prozent Marktanteil. Das ist wirklich echt krass, wenn man so sagen soll, weil du es quasi zehn Jahre lang geschafft hast, diese Position wirklich signifikant zu verteidigen, obwohl es technologisch überhaupt nicht anspruchsvoll gewesen wäre, auch einfach ein Folgeprodukt dahinzustellen. Das haben sicherlich auch Unternehmen versucht und gemacht, aber Sony konnte einfach diese Dominanz, die sie sich als First Mover in diesem Markt erarbeitet haben, auch diesen Namen Walkman geprägt haben, also diese Gattung geprägt haben, absolut verteidigen. Das Erfolgskriterium für dieses Vorgehen in dieser Situation ist auch am Beispiel Sony so schön zu sehen, ist diese absolute Marketing- und Distribution-Power, es also wirklich zu schaffen, das eigene Produkt mit gutem Marketing und der Besetzung von Vertriebskanälen präsent zu halten und als eben das begehrenswerte originale Produkt zu platzieren. Das ist ihnen absolut gut gelungen und das ist sicherlich ein schönes Beispiel, wo das gut funktioniert hat. Wir hatten im Vorgespräch ja auch über Amazon Prime gesprochen. Ich glaube, die würden da auch gut hineinpassen.
Sebastian Metzner: Absolut, weil es ja auch eine Geschäftsmodellinnovation ist. Diese Mitgliedschaftsgeschichten, die mir größere Vorteile verschaffen, dass ich die Sachen innerhalb von 24 Stunden oder in kurzer Zeit nach Hause geliefert bekomme, setzt auf so einem bestehenden Thema auf. Amazon hat eine große Installed Base mit einer Vielzahl von Kunden gehabt, hat eine überragende Logistik auch aufgebaut, hat eine große Marke, hat viel Vertrauen drin, schafft es auch, diese Versprechen einzulösen. Das ist im Prinzip, einmal ganz zusammengefasst, das, was Sony in den 80er Jahren geschafft, hat Amazon in den 2010er und Folgejahren eigentlich geschafft mit Prime, weil natürlich auch Video on demand noch als zusätzliches Leistungspaket mit drin ist. Ich kann mir die Sachen dort angucken. Sie haben auf ihrer Cloudtechnologie aufgesetzt, die sie mit AWS hatten, also da bestehende Assets genutzt. Das ist schon clever gewesen. Wie bei Sony. Ich meine, man hat jetzt das Kassettendeck, dieses Doppelkassettendeck, wo man früher Sachen überspielen konnte und zuhause in der Wohnzimmerschrankwand hatte, hat man ja auch quasi einfach nur mobilisiert in dem Sinne, dass ich jetzt sozusagen unterwegs hören konnte. In den 80er Jahren dann auch mit so einem Lifestyle-Charakter des Hip-Hops mit den Kopfhörern, das war alles sehr, sehr fancy, würde man, glaube ich, heute sagen. Das hat im Umkehrschluss natürlich auch Amazon geschafft, indem sie mit Prime ein wirklich attraktives Angebot geschaffen haben, was auch ein totaler No Brainer, ehrlich gesagt, ist und wo eine Vielzahl von anderen Dingen jetzt Einzug gehalten hat mit recurring revenues. Also das ist auf jeden Fall ein guter Schachzug gewesen, ein genialer Schachzug, muss man, glaube ich, sagen.
Peter von Aspern: Ja, absolut. Das Interessante ist eben auch hier, dass es eben stark durch Marktwachstum getrieben ist und gar nicht so sehr durch weitere technologische Innovation. Spannend ist, Sebastian, wenn wir jetzt den Spieß einmal umdrehen und uns angucken, wie die Situation ist, wenn du jetzt einen Markt hast, der sich weniger dynamisch entwickelt als die Technologie. Also die Technologie entwickelt sich dynamisch und der Markt kommt vielleicht so langsam hinterher. Wie ist dann die Situation?
Sebastian Metzner: Wenn ich eine galoppierende technologische Entwicklung habe, dann muss ich als Unternehmen, wenn ich First Mover bin, oder insgesamt muss ich wahnsinnig viel R&D-Aufwand hineinstecken, ich muss große Budgets hineinstecken. Das heißt, das Risiko steigt, jahrelang mache ich als Unternehmen vielleicht Verluste, die Skepsis wird immer größer: Wird das etwas, wird das etwas? Weil ich jeden Technologiesprung mitmachen muss. Alle 14 Tage kommt gefühlt etwas Neues. Wenn ich das nicht mache, dann liege ich hinten. Und das ist etwas, was dem Unternehmen extrem viel Kraft und Risikovermögen abverlangt. Ja, man kann natürlich als Second Mover dann entsprechend sagen: Ich lehne mich da einmal ganz entspannt zurück, die etablierten Unternehmen lassen irgendwann nach. Dieser technologische Fortschritt kommt irgendwann zum Erliegen und dann packe ich zu, dann gehe ich hinein. Das könnte so eine Taktik sein. Das heißt, wenn die technologische Entwicklung so galoppiert, kann man sagen, brauche ich extrem tiefe Taschen, um diese Dynamik entwicklungstechnisch immer, immer mitzumachen. Ich brauche das richtige Personal. Aus meiner Sicht ist das eigentlich die schlechteste aller Alternativen. In so einem Wettbewerbsumfeld kannst du kaum als First Mover überleben. Da ist es, glaube ich, besser, Smart Follower zu sein. Siehst du das gleich, Peter, oder siehst du das anders?
Peter von Aspern: Ja, absolut. Du hast es ja eben auch schon gesagt: Du brauchst eben wirklich sehr, sehr tiefe Taschen und musst wirklich lange Durststrecken aushalten und selbst, wenn du das dann nachvollzogen hast, ist ja immer noch nicht sicher, ob es dann eben auch erfolgreich ausgeht, weil diese, wie du beschrieben hast, galoppierende technologische Entwicklung immer wieder mit jedem Technologiesprung ein Zeitfenster oder einen Möglichkeitsraum aufmacht für den Eintritt von eben neuen Wettbewerbern, also von Smart Followern, die immer wieder mit jedem Technologiesprung die Chance haben, in diesen Markt hineinzugehen, und die im Grunde deine Grundlagenarbeit so ein Stückweit zunichtemachen, indem sie einfach im richtigen Moment auf den Zug mit aufspringen und den ganzen Markt unter Umständen für sich vereinnahmen. Von daher glaube ich auch, das kann tatsächlich ein toxisches Umfeld sein, wenn du in so einer Situation unterwegs bist.
Sebastian Metzner: Auch ein klassisches Innovator's Dilemma. Also von unten die Disruptoren, die kommen jetzt über einen Technologiesprung hinein und machen dich als vielleicht etablierten First Mover obsolet von heute auf morgen. Das ist, glaube ich, auch hier, um im Sinne von Clayton Christensen zu sprechen da sehr, sehr häufig anzutreffen. Aber lass uns vielleicht den Abschluss suchen mit dem vierten Möglichkeitsraum. Das ist dann der Punkt, wo sowohl technologische Entwicklung hoch ist als auch das Marktwachstum sehr, sehr hoch ist. Das sind die rauen Gewässer, das sind die Rough Waters. Peter, vielleicht nimmst du uns da nochmal kurz mit dahin. Was findet man vor in diesen Rough Waters und was heißt das dann, auf First Mover und Smart Follower übertragen?