Peter von Aspern: Was sind eigentlich Kriterien, an Hand derer man vielleicht entscheiden könnte, ob ich mich für eine zentrale oder dezentrale Struktur entscheide? Weil diese Kriterien sind tatsächlich jetzt im ersten Schritt auch noch gar nicht so sehr davon abhängig, ob ich jetzt von Innovationsmanagement spreche oder von einem anderen Unternehmensbereich, wo ich mir die Frage stelle, sollte der eigentlich zentral geführt sein oder dezentral. Wie jetzt im Marketing zum Beispiel. Muss das Marketing dezentral sein, also ganz nah an den operational Business Units dran? Oder muss das total zentral sein, dass alles aus der Konzernzentrale für alle Sparten und global hart durchexerziert werden muss? Und im Grunde haben wir viele Kriterien herausgearbeitet, die aus unserer Sicht maßgeblich sind oder sehr stark dabei helfen können, so eine Entscheidung zu treffen. Um sich eben auch noch einmal zu vergegenwärtigen, welche Vorteile Zentralisierung hat, welche Vorteile Dezentralisierung hat, wofür das gut ist und was wann die richtige Wahl ist. Um das einmal konkret zu machen, der erste Punkt ist das Thema Reaktionsfähigkeit oder Geschwindigkeit. Das heißt wie schnell soll in diesem Beispiel Innovation passieren? Muss ich sehr schnell agieren können? Dann ist tatsächlich die Wahl einer dezentralen Innovationsstruktur die Richtige, weil ich dadurch eben sicherstelle, dass ich wirklich nah an meinen Kunden bin, weil ich mich eben an den operativen Business Units orientiere. Also beispielsweise an meinem Markt oder einen Produktsegment, wo ich entsprechend die Produktmanagementteams oder die Sales-Teams habe, die genau die Kunden und die Wettbewerber kennen und so entsprechend an der Stelle sehr schnell agieren können. Deshalb, wenn Geschwindigkeit ein wichiges Argument ist, wie eben in der Coronakrise übrigens auch, dann spricht es jetzt im ersten Schritt tatsächlich für eine eher dezentrale Struktur.
Sebastian Metzner: Genau. Du sprichst es genau an. Das haben wir auch gesehen, dass schnell Probleme aufgetreten sind, die relativ zügig gelöst werden mussten. Und da war Reaktionsfähigkeit in Zusammenhang mit Dezentralisierung ein großer Lösungsansatz und vollkommen folgerichtig, dass wir das aktuell erleben, was wir erleben. Du hast drei weitere Kriterien noch notiert. Der nächste Punkt wäre Verlässlichkeit. Und der steht aber eher im Gegensatz zur Zentralisierung, wenn ich dich richtig verstanden habe, oder?
Peter von Aspern: Genau, genau. Also Verlässlichkeit ist tatsächlich ein Punkt, also der im Unternehmenskontext bedeuten kann, dass man standardisierte Methoden, Verfahren, Systeme, Richtlinien, Standards irgendwie durchsetzen möchte. Und so etwas macht man tatsächlich meistens eben durch zentrale Strukturen. Dass eben Qualitätsstandards und so weiter dafür sorgen, dass du eine sehr hohe Verlässlichkeit im Unternehmen hast, was solche Themen angeht. So etwas spricht eben dann für zentrale Strukturen. Der nächste Punkt, Effizienz, auch genauso. Das heißt, wenn es darum geht, dass ich bestimmte Aufgaben im Unternehmen sehr effizient ausführen möchte und es möglich ist das entsprechend auch für mehrere Business Units zentral erledigen zu lassen, wie zum Beispiel so IT Themen, also so IT Infrastruktur, die ein Unternehmen aufsetzt, ist zum Beispiel auch so eine typische Aufgabe, die man eher zentral steuert. Weil du dadurch eben einfach auch Effizienzgewinne heben kannst. Auch ein typisches Beispiel für den zentralen Ansatz. Und Beständigkeit kann man auch anders bezeichnet, vielleicht besser auch als langfristig oder eben weit gedacht. Das heißt: Wie sorge ich dafür, dass mein Unternehmen in Zukunft auch noch da ist. Also wirklich langfristige Fragestellungen anzugehen. Und man könnte es auch als Teil der Daseins-Vorsorge für Unternehmen bezeichnen. Und dazu gehört natürlich Innovation ganz maßgeblich. Und aus meiner Sicht ist tatsächlich eine der zentralen Schwächen von dezentraler Innovation der Punkt, dass - darüber hatten wir auch schon gesprochen in dem Kontext des Innovationsparadoxes, das wir ja auch in der Coronakrise beobachtet haben - man hat irgendwie diesen Fokus auf diese schnellen inkrematellen Innovationen gehabt, die mir schnell helfen, die ich schnell umsetzen kann, die eben gefühlt so eine ganz hohe Innovationsgeschwindigkeit auch aufgezeigt haben. Aber die langfristen Innovationen, also die Horizont 2 und 3 Innovationen, die quasi wirklich neue, bahnbrechende Technologien zu Tage bringen, die wirklich nachhaltig verändern können, die sind bei vielen Unternehmen, haben wir ja auch von Sven gehört im Gespräch im Rahmen unserer Innovationsklimastudie, so ein Stück weit hinten runtergefallen. Und das liegt sicherlich auch daran, also nicht nur weil natürlich auch Top-Management Attention und Budgets jetzt auf recht kurzfristige Maßnahmen gechiffert worden sind, aber es liegt eben auch daran, dass du solche bahnbrechenden Innovationen, die wirklich über den Planungshorizont von operativen Units hinaus gehen, die kriegst du einfach dezentral sehr schwer hin. Und das ist aus unserer Sicht ein wichtiges Argument, dass eben zentral Innovation Sinn machen kann.
Sebastian Metzner: Und wenn ich richtig verstehe, das noch einmal ein bisschen runterbreche, dann ist es im Grunde so, du brauchst dezentrale Innovationsformen dann, wenn man inkrementell innovieren möchte. Also das heißt, wenn man sehr, sehr schnell unterwegs sein muss mit einer hohen Nähe zum Markt, wenn man viel Umsetzungs-Knowhow bündeln muss, wenn man eine hohe Akzeptanz auch in diesem Bereich bekommen will für die Dinge, die da umgesetzt oder innoviert werden, wenn man schnellere und bessere Entscheidungen treffen muss, dann ist das alles dezentral nur möglich. Aber dann innoviere ich halt sehr, sehr stark inkrementell. Und genau das hast du gerade beschrieben: Innovations-Paradox, alles sehr kurzfristig, eher sehr anpassungsfähig, das ist dann die logische Konsequenz daraus.
Peter von Aspern: Ja, absolut, genau. Und das gilt natürlich auch nach Corona und galt auch schon vor Corona. Es ist genau so richtig. Und es ist natürlich per se nicht gut oder schlecht, man braucht ja auch diese kurzfristigen Innovationen. Man muss ja auch in der Lage sein, schnell auf veränderte Bedürfnisse im Markt reagieren zu können und die auch wirklich schnell frühzeitig erspüren zu können, um dann da auch das schnell umsetzen zu können. Das ist zum Beispiel in Märkten, die im B2C Bereich angelegt sind. Da hat man oft wirklich hohe Innovationsgeschwindigkeiten und muss da eben schnell agieren. Und diese Innovationen, die wir da aus diesen Bereichen kennen, die sind eben oftmals auch eher tatsächlich als inkrementell zu bezeichnen.