Podcast "Innovation geht anders"

TRENDONE bespricht wöchentlich ausgewählte Aspekte des Innovationsprozesses.

TRENDONE Podcast Innovation geht anders #47 Zeitenwende in Europa mit Prof. Dr. Henning Vöpel

#47 Zeitenwende in Europa mit Prof. Henning Vöpel vom CEP

Der Krieg ist nach Europa zurückgekehrt – erleben wir eine Zeitwende in Europa? Wir sprechen mit Prof. Dr. Henning Vöpel, Direktor am Centrum für Europäische Politik (CEP) über die wirtschaftlichen Folgen und Dynamiken, die sich nun entfalten werden.

Das TRENDONE Trend Impact Wheel visualisiert direkte und indirekte Konsequenzen des Ukraine-Kriegs und exploriert mögliche Zukünfte der Zeitenwende.

Sebastian Metzner: Unser heutiges Thema lautet "Zeitenwende in Europa". Und darüber sprechen wir mit Professor Dr. Henning Vöpel, vom Zentrum für europäische Politik. Gemeinsam fragen wir, ob in der Nacht zum 24. Februar tatsächlich eine neue Zeitrechnung begonnen hat. Wir diskutieren, wie weitreichend die wirtschaftlichen Folgen ausfallen werden und welche neuen Dynamiken jetzt entstehen. Denn Putins Krieg folgt nicht der Logik eines fortschrittlichen Zukunftsnarrativs. Putins Krieg ist ein merkwürdiger Rückgriff in die Geschichte. Sind die Fliehkräfte eines ungeeinten Europas nun gestoppt? Entwickeln wir 30 Jahre nach dem Ende des kalten Krieges eine gemeinsame Sicherheits-, Energie- und Sozialpolitik? Auch wenn jetzt alle Hausaufgaben mit Hochdruck angegangen werden, bleibt die Frage, wie gestalten wir Gesellschaft, Wirtschaft und Politik, die mit Komplexität und Ambiguitäten umgehen kann? Professor Vöpels Vorschlag hört ihr am Ende der Folge. Also nun mittenrein in Episode 47.

Ist der 24. Februar 2022 der Tag, an dem tatsächlich eine Zeitenwende in Europa stattgefunden hat?

Henning Vöpel: Ich glaube, das kann man tatsächlich so sagen. Und, Sebastian, du hast ja auch in deinen Worten am Anfang gesagt, 30 Jahre, nicht? Das ist vielleicht ein Jahrzehnt, das 30 Jahre nach dem Fall der Mauer, dem Ende des Ost-West-Konfliktes, als ob wir in ein plötzlich unerwartet ganz anderes Jahrzehnt gehen. Und ich glaube, dieser Rückgriff auf diese Zeit ist völlig berechtigt. Ich erinnere mich, dass damals der Politikwissenschaftler Francis Fukuyama dieses Buch geschrieben hat, "Das Ende der Geschichte". Dafür wird er ja heute sehr stark kritisiert. Er war damals der Meinung, dass Demokratie und Marktwirtschaft gesiegt hätten in diesem großen System, Kampf mit dem Ostblock, mit dem Kommunismus. Und das sei ja jetzt endgültig vorbei und wir würde das Ende der Geschichte erleben. Das war sicherlich voreilig, denn wir erleben grade nicht mehr und nicht weniger als die Rückkehr der Geschichte. Putin wirft uns mit dieser Aggression, mit dieser Invasion mit einem sehr aus der Zeit gefallenen Krieg irgendwie wieder in diese Geschichte zurück. ...

Welche wirtschaftlichen Auswirkungen siehst du auf Europa und den Westen jetzt zukommen?

Henning Vöpel: Es ist interessant, dass du auf die Technologie zu sprechen kommst. Und auch das ist tatsächlich nicht neu. Wir hatten vor 100, 120 Jahren eine Zeit großen technologischen Fortschritts. Das sind die Flugzeuge entstanden, die Automobilwirtschaft und so weiter, die Telefone, der Fernseher und so weiter. Wir hatten eine große industrielle Zeit des technologischen Fortschritts. Das hat damals die politischen und gesellschaftlichen Systeme auch überrascht. Hier war die Technologie teilweise Treiber der politischen und gesellschaftlichen Veränderungen. Und Ich glaube, so wie damals haben wir auch heute es mit einer großen technologischen Wende zu tun. Wir reden über neue Technologien, wir reden über das Zeitalter der Digitalisierung, den systematischen Gebrauch von Datenplattformen, neue Macht bildet sich, Digitalmacht bildet sich gegenüber Staatsmacht. Also auch hier die Beobachtung, dass Technologie Machtlinien verschiebt und dass sie sich neu arrangieren. Und ich finde es, wie ihr, interessant, dass wir vor diesem Krieg immer nur über Technologie, über Transformation gesprochen haben. Und plötzlich sagen wir, okay, vielleicht ist die Zukunft doch eher politisch und weniger technologisch. Das ist total faszinierend. Trotzdem geht das ja weiter. ...

Ich glaube, wir müssen unbedingt in unsere Fähigkeit als Gesellschaft investieren, mit solchen großen Krisen und Schocks besser umzugehen. Die Pandemie war ja auch so ein gewaltiger Schock, und ich glaube, das ist kein Zufall, dass wir eine solche Häufung von Krisen haben.
Prof. Dr. Henning Vöpel, Direktor CEP
TRENDONE Zeitenwende Prof. Dr. Henning Vöpel, Direktor am Centrum für Europäische Politik (CEP)
TRENDONE Zeitenwende Prof. Dr. Henning Vöpel, Direktor am Centrum für Europäische Politik (CEP)

Wie werden die ökonomischen Auswirkungen auf die deutsche Wirtschaft ausfallen?

Henning Vöpel: Im Moment tatsächlich noch relativ begrenzt. Die Politik hat ja nicht nur angekündigt, sondern mittlerweile auch wirklich scharfe Sanktionen umgesetzt. Bei SWIFT, dem internationalen Zahlungssystem, hatte man lange Zeit Bedenken, weil man eben befürchtete, dass beim Ausschluss Russlands aus dem SWIFT System womöglich auch Ansteckungseffekte in anderen Ländern und Finanzmärkten verbunden sein könnten, und die man dann kaum mehr beherrschen und kontrollieren kann. Man hatte erst so ein bisschen Angst, jetzt hat man doch Wege gefunden, auch wesentliche Währungsreserven der russischen Zentralbank einzufrieren. Das heißt, das, was Russland als Devisen einnimmt, können sie kaum mehr verwenden, um damit im Ausland einkaufen zu gehen. Das hat sicherlich geholfen und das alles hat unsere Wirtschaft erstmal noch nicht so massiv betroffen. ...

Was denkst du, wie sind die Auswirkungen auf deutsche Unternehmen am stärksten gelagert?

Henning Vöpel: Ich denke tatsächlich, über den Energiepreisschock. Da sind aber alle Branchen gleichermaßen, mehr oder weniger, von betroffen. Natürlich mehr die überproportional energieintensiven. Das ist völlig klar. Und du hast ja gesagt, wer Putin schaden will, spart Energie. Christian Lindner hat gesagt, erneuerbare Energien sind Friedensenergien. Das ist natürlich im Moment sehr pathetisch ausgedrückt, aber in Wahrheit stimmt es. Wir müssen unsere Abhängigkeit natürlich stark reduzieren. Das geht aber jetzt nicht in den nächsten zwei, drei Jahren, sondern das dauert mindestens 10 Jahre, bis wir wirklich eine gewisse energiewirtschaftliche und energiepolitische Unabhängigkeit erlangt haben. ...

Regenerative Energien oder Kohle und Atomstrom - in welche Richtung werden wir gehen?

Henning Vöpel: Das ist eine ganz spannende Frage. Wir waren ja auf dem Weg, die Erneuerbaren ganz klar auszubauen. Und wir haben gesagt, wir steigen aus Kohle aus, wir steigen aus Atomenergie aus und wir wollen eigentlich auch Erdgas nicht als Brückentechnologie nicht verwenden für die Energieversorgung. Also wir hatten einen sehr strikten, konsequenten Weg in der Energiewende hin zur Klimaneutralität eingeschlagen. Den müssen wir auch weitergehen. Ich hielte es für fatal, wenn wir jetzt sagen, politisch sind wir genötigt, den Ausstieg aus Außenhandel dem Ausstieg wieder zu organisieren. ...

Trend Impact Wheel Zeitenwende

Mit der gebündelten Identifizierung und Darstellung der unmittelbaren und mittelbaren Folgen des russischen Angriffs auf die Ukraine macht das TRENDONE Trend Impact Wheel Zeitenwende die komplexen und hochdynamischen Veränderungsprozesse sichtbar.

Trend Impact Wheel Zeitenwende herunterladen: PDF-Download (3,7 MB).

 

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"Wandel durch Handel“ - ist der Ansatz gescheitert?

Peter von Aspern: Und wenn wir den Blick noch ein bisschen über Europa hinaus weiten, dann hatten wir am Anfang ja schon über die Rolle und die Bedeutung Chinas gesprochen, die, denke ich, in diesem Konflikt eine ganz, ganz besondere ist. Lange Zeit galt ja gerade aus der westlichen Welt gedacht diese Maxime und der Ansatz „Wandel durch Handel“, gerade im Zusammenhang mit nichtdemokratischen Regimen. Ist der Ansatz gescheitert, frage ich mich?

Henning Vöpel: Der ist nicht gescheitert und wir sollten jetzt auch vorsichtig sein, in das Gegenteil zu verfallen. Die Kriegsrhetorik hat bei uns zugenommen. Ich kann das verstehen, dass man jetzt wirklich eine unglaubliche Wut auf das entwickelt, was dort zu beobachten ist. Aber ich glaube, wir sollten uns zurückhalten. Ich glaube, dass die Globalisierung weiterhin kooperativ sein sollte. Wir brauchen den Multilateralismus, denn sonst werden wir alle anderen Probleme ja niemals lösen können. ...

Nearshoring: Kommen Produktionskapazitäten wieder zurück in die EU?

Peter von Aspern: Häufig verwendet man ja in diesen Ambidextrien, in denen man denken muss, diese Beidhändigkeiten. Häufig wird auch dieses neue Wort Hybrid dazu benutzt. Alles, was modern ist, ist hybrid. Und ich will da noch mal anschließen, weil wir müssen die Unterschiede, glaube ich, gegenseitig anerkennen, aber die Gemeinsamkeiten immer wieder betonen. Aus der pragmatischen Perspektive aber noch mal beleuchtet, wenn jetzt die weltweiten Lieferketten zunehmend instabiler werden, Rohstofflieferungen nicht zuverlässig sind, die Vorprodukte nicht kommen, dann müssen sich deutsche Unternehmen ja schon mit dem ganzen Thema Nearshoring noch mal ein Stück weit auseinandersetzen. ...

Die Vermeidung von Krisen ist keine Strategie mehr. Wir müssen anti-fragil werden in dem Sinne, dass wir die Fähigkeit bekommen, uns Krisen auszusetzen, um an ihnen zu wachsen.
Prof. Dr. Henning Vöpel, Direktor CEP
TRENDONE Zeitenwende Prof. Dr. Henning Vöpel, Direktor am Centrum für Europäische Politik (CEP)
TRENDONE Zeitenwende Prof. Dr. Henning Vöpel, Direktor am Centrum für Europäische Politik (CEP)

Sind wir als Gesellschaft, die anti-fragil werden muss, auch verzichtsfähig?

Henning Vöpel: Das ist eine große Frage, eine wichtige Frage natürlich, weil wir uns, glaube ich, darauf einstellen müssen. Also es gibt ja unterschiedliche Positionen zwischen jenen, die sagen: „Degrowth. Wir leben in einer Post-Wachstumsphase. Wir dürfen nicht mehr wachsen.“ Das stimmt ja auch, weil die planetaren Grenzen erreicht und schon lange überschritten sind. Und wenn wir keine neuen Technologien entwickeln, die den Ressourcenverbrauch und den Energieverbrauch deutlich reduzieren, werden wir nicht so weiter machen können. Das ist völlig klar. Also unter den Bedingungen gleicher Technologien können wir nicht so weiter machen. ...

Hilft Sprunginnovation weiter?

Peter von Aspern: Das bleibt die Hoffnungsbotschaft am Ende. Wenn ich so ein Stück weit auf die jetzige Situation und die Auswege schaue, dann ist mir dieses Narrativ der sogenannten Sprunginnovationen immer wieder vor Augen, wo ich glaube, dass das die vereinte Kraft sein muss, die auf diese relativ stark fortschrittsorientierte Innovationsform kommen muss. Ich denke auch, dass es nicht der Sinn ist, jetzt in eine Verteidigungshaltung von Privilegien zu gehen. ...

Sebastian Metzner: Damit kommen wir am Ende der Folge wieder zu Hegel zurück, vielleicht zu der These, die unsere europäischen Werte sind, mit der Anti-These und Putins Krieg vielleicht zu der Synthese des gemeinsamen Common Grounds, der dadurch entsteht. Herzlichen Dank, Henning, dass du heute unser Gast warst, für deine Einschätzung. Danke, dass du heute hier warst.

Henning Vöpel: Sehr gerne. Hat mich sehr gefreut.

Peter von Aspern: Ebenso. Vielen Dank.

Sebastian Metzner: Dann bedanken wir uns für das Zuhören. Wie immer bieten wir euch die Möglichkeit für Feedback an. Schreibt uns gerne an podcast(at)trendone(dot)com. Peter, die nächste Folge erscheint dann am?

Peter von Aspern: Die erscheint dann schon in der nächsten Woche, am 17. März und da wird zu Gast sein Raphael Gielgen von Vitra.

Sebastian Metzner: Super. Vielen Dank an alle. Habt eine friedliche Zeit. Bis bald.

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