Sebastian Metzner: Das ist eine sehr gute Überleitung. Nachmessen bringt natürlich auch immer ein Stück weit Nachteile und Dinge, die man eigentlich vermeiden sollte, mit sich. Du hast gerade schon die Vanity Metrics angesprochen. Was sind denn die klassischen Nachteile, die ich beim Messen unbedingt vermeiden sollte?
Kristin Schrepper: Ein Aspekt, ich habe es vorhin schon kurz angesprochen, ist diese Messbarkeitsillusion. Wie aussagekräftig und nützlich sind Kennzahlen für qualitative Aspekte? Ein Beispiel ist die Rolle des Designs in der Produktentwicklung. Ich denke wir sind uns hierzulande alle einig, dass gutes Design wirklich wichtig für den Erfolg eines Produktes am Markt wichtig ist. Aber wie kann ich Design eigentlich sinnvoll messen? Das funktioniert nicht. Ich kann nicht in Zahlen ausdrücken, welchen Beitrag mein Design zum Erfolg leistet. Trotzdem sehen wir ja, dass alle Unternehmen daran festhalten, weil sie wissen, dass es einen qualitativen Unterschied macht. Nicht ohne Grund kopieren asiatische Elektronikhersteller das Design von Apple. Es kommt einfach bei den Kunden gut an. Es gibt dann aber noch einen weiteren Nachteil des Messens. Es können hierbei falsche Anreize gesetzt werden. Wenn ich meinem Team sage: "Ihr müsst im Monat 15 neue Ideen entwickeln.", wird mein Team das natürlich machen. Die Bewerteten, die Gemessenen, setzen natürlich alles daran das Ziel zu erreichen. Es sagt aber nichts darüber aus, ob diese Ideen auch wirklich qualitativ gut sind. Es sagt auch nichts darüber aus, ob diese 15 Ideen am Markt platziert werden können, oder vielleicht nachher in die Schublade wandern. Von daher muss man wirklich die Unterscheidung treffen, ob es nicht mehr Sinn macht, mehr auf Qualität, anstatt auf Quantität zu achten. Drei sehr gute Ideen bringen mich weiter als 15 sehr schlechte Ideen. Das Ganze dann eventuell auch noch verknüpft mit Boni, also Leistungen im Innovationsmanagement, kann dann noch mehr diese falschen Anreize schaffen. Dass ich wirklich alles daran setze, meinen Bonus zu bekommen, die Qualität meiner Arbeit aber im Endeffekt für das Erreichen der KPIs vernachlässige.
Peter von Aspern: Wie kann man dann so etwas vermeiden? Man kennt es ja aus der Finanzwelt, Stichwort Finanzkrise. Da gab es im Vorfeld auch viele Banken, die mit KPIs gearbeitet haben, zum Beispiel Wells Fargo. Das ist eine sehr große Bank aus den USA, die in der Finanzkriese eine Rolle gespielt hat. Die hatten eine Strategie, die hieß: "Eight is great.". Da ging es darum, dass jeder Bankmitarbeiter das KPI hatte jedem Kunden acht Produkte von Wells Fargo zu verkaufen. Das hat dazu geführt, dass man als Mitarbeiter versucht hat, diese KPIs zu erfüllen und es hat damit geendet, dass Millionen von real nicht existenten Konten eröffnet worden sind. Die Bankmitarbeiter haben da eigenmächtig Kundengelder hin- und hergeschoben. Die Bank war immerhin so schlau in der KPI zu berücksichtigen, dass die Konten auch aktiv sein müssen. Das hat natürlich zu krassem Fehlverhalten geführt. Die Bank leidet heute noch darunter und hat sich davon nicht mehr erholt. Das ging sozusagen komplett in die falsche Richtung, weil die KPIs offensichtlich nicht klug definiert worden sind. Wie könnte man das denn besser machen, um nicht auch in so eine Falle zu tappen, dass KPIs quasi blind erfüllt werden, das eigentlich Ziel aber trotzdem nicht erreicht wird?
Kristin Schrepper: Ich greife nochmal den Begriff Vanity Metrics auf. Das habe ich ja als negatives Beispiel aufgeführt. Der positive Gegenpart sind Actionable Metrics. Das sind Begriffe, die stammen von Eric Reese, der hat sich 2011 mit der Lean-Startup-Methode einen Namen gemacht. Es sind Begriffe, die aus der Welt der Startups kommen. Vanity Metrics sind zum einen Metriken, die sehen auf dem Papier erstmal sehr schön aus. Mit denen kann man Eindruck machen. Sie geben aber keinen Aufschluss über die Leistung des Unternehmens, oder zukünftige Strategien. Sie bilden einfach nur den aktuellen Stand ab und geben dir überhaupt keinen Hinweis, welche Entscheidungen und Maßnahmen du ergreifen kannst. Im Innovationsmanagement können das so reine KPIs, wie Profitabilität, oder die Rendite, oder, wie eben schon angesprochen, die Anzahl der Ideen, sein. Das kann auch die Anzahl der Patente, oder auch die Ausgaben für Forschung und Entwicklung, sein. Diese blanken Zahlen bilden nur den Status quo ab und sagen nichts darüber aus, welche Maßnahmen du ergreifen solltest. Demgegenüber stehen dann eben diese Actionable Metrics. Die bereiten Entscheidungen vor und tragen dann auch wirklich zum Erfolg und zum Wachstum bei, da man aus ihnen direkt Maßnahmen ableiten kann. Daher sind sie eben umsetzungsorientiert und beschreiben Relationen. Das ist genau der Knackpunkt. Sie sind nicht nur eine Zahl, sondern sie beschreiben Relationen vom Input zum Output. Daher sind sie aussagekräftiger und in Maßnahmen konkret umsetzbar.
Peter von Aspern: Also eher vorwärtsgerichtet und bei diesen Vanity Metrics klang das eher rückwärtsbetrachtet. Bei den Vanity Metrics guckst du in die Vergangenheit und bei den Actionable Metrics, so klingt es auch, guckt man eher nach vorne. Kann man das so sagen?
Kristin Schrepper: Ja, genau. Durch die Relation, die gebildet wird, schreibst du eher eine Entwicklung fort und kannst Maßnahmen ableiten. Dadurch kannst du mehr in die Zukunft schauen und diese besser interpretieren. Ein Beispiel für einen Actionable Metric wäre R&D to product conversion. Das heißt die Forschungs- und Entwicklungsausgaben im Verhältnis zum Umsatz mit neuen Produkten. Die Metrik zeigt hier ganz gut die Effizienz auf, mit der sich Forschungs- und Entwicklungsausgaben im Umsatz mit neuen Produkten ausdrücken. Das klingt kompliziert, wenn man sie dann anwendet, hat sie aber wirklich sehr viel gehaltvolle Aussagen. Aber auch die klassische Return on Innovation Rate führt hierzu auch rein. Return on Innovation meint ja die Einnahmen, die durch Innovation entstehen, im Verhältnis zu den Innovationsausgaben. Hier muss man aber auch beachten, dass die Investitionen in Innovation sich häufig auch erst Jahre später auszahlen. Hier muss man als Innovationsverantwortlicher sehr transparent und vorsichtig schauen, über welche Jahre hinweg man die Innovationsausgaben, beziehungsweise auch die Einnahmen, verrechnet. Es gibt aber noch weitere Actionable Metrics im Innovationsmanagement, wie zum Beispiel die Innovationsrate, die ich auf zwei verschiedene Art errechnen kann. Zum einen mit dem Umsatzanteil der Innovationen durch den Gesamtumsatz meines Unternehmens, oder auch die Anzahl der Innovationen durch die Gesamtanzahl meiner Produkte im Unternehmen. Das ist auch nochmal eine ganz gute Aussage darüber, wo ich eigentlich stehe. Wir haben vorhin ja auch schon welche aus der Startup Welt angesprochen; Learning Ratio, Experiment Velocity. Das sind ja auch nochmal Actionable Metrics, mit denen ich wirklich arbeiten kann, die wirklich Aussagen über zukünftige Entscheidungen und Strategien treffen können.
Peter von Aspern: Diese Korrelation der Kennzahlen zeigt ja auch schon, dass man ein System von KPIs braucht und diese blanken Zahlen, zum Beispiel Return on Innovation, viel zu kurz greifen, weil sie auch viel zu wenig Informationen enthalten.
Kristin Schrepper: Genau. Statt jetzt nur Metriken, wie den ROI, der für viele Unternehmen viel zu kurz greifen würde, oder auch zu komplexe Actionable Metrics, die vielleicht gar nicht auf meine Strategie eingehen, zu übernehmen, gehen wir doch nochmal einen Schritt zurück und werfen nochmal die Frage auf, was das eigentlich Ziel ist, was ich mit meinen KPIs verfolgen möchte. Auf welche Strategie des Unternehmens und meiner Innovationsabteilung sollen die KPIs denn einzahlen? Ein Beispiel wären wachstumsfördernde Innovationsstrategien, die ich entwickeln möchte. Ich nehme mir das für die nächsten Jahre vor. Da könnte ich dann regelmäßig KPIs, die den Anteil des Umsatzes, der für Innovation, oder auch für die Erschließung neuer Märkte ausgegeben wird, betrachten. Hier ist es auch eine Relation aus Input und Output. Der Umsatz ist dabei natürlich dann der Output. Oder auch der relative Anstieg des Marktanteils. Das sind zwei Metriken, zwei KPIs, die man sich für dieses Beispiel anschauen könnte. Möchte ich vielleicht nur meine Ideengenerierung professionalisieren, wenn ich zum Beispiel merke, dass alles noch ein bisschen chaotisch und durcheinanderläuft und ich es einfach mal strukturieren möchte, könnte ich den Durchschnitt neuer Ideen pro Mitarbeiter, die bestimmte Bewertungen erfüllen, messen. Es geht dann nicht nur um die reine Anzahl neuer Ideen, sondern nur um Ideen, die im Endeffekt schon ein Qualitätscheck bestanden haben.
Peter von Aspern: Und dann könnte man mit deiner Methode, dem KPI tree, den du vorhin auch schon vorgestellt hattest, noch weiter reingehen und sagen: "Okay, welche Faktoren beeinflussen das jetzt eigentlich?". Das wären als Beispiel die neuen Ideen pro Mitarbeiter. Dann könnte ich jetzt auch sagen: "Wie häufig loggen sich Mitarbeiter eigentlich in unsere Ideenmanagement Plattform ein? Wie kann ich das irgendwie steigern? Wovon hängt das eigentlich ab?". Dann gehe ich damit immer weiter rein und finde diese Wirkhebel. Das sind dann sozusagen auch nochmal diese wirklichen Actionable Metrics, von denen du eben schon gesprochen hattest. Kann man das so sagen?
Kristin Schrepper: Genau. Ich sollte wirklich, auch, wenn ich den KPI tree anwende, auf qualitativ hochwertige KPIs und nicht nur auf reine Zahlen setzen. Ich sollte versuchen es in Relationen auszudrücken, oder einen Checkpoint einzubauen, damit die Qualität zwischendurch überprüft wird. Ebenso, wie beim Durchschnitt der neuen Ideen pro Mitarbeiter, wo aber nur Ideen zählen, die bestimmte Kriterien erfüllen. Hier gehen die Ideen, die hinterher in die Schublade kommen, nicht mit ein, sondern wirklich nur die Ideen, die mir als Unternehmen weiterhelfen. Die Qualität der KPIs muss ich immer beachten, auch bei der Erstellung von KPI trees. Das heißt ich messe nicht nur, wenn es um die Professionalisierung der Ideengenerierung geht, wie viele Mitarbeiter sich pro Tag einloggen, sondern ich messe dann auch, was die Mitarbeiter auf der Plattform machen. Werden wirklich neue Ideen eingestellt? Werden Ideen gelesen, kommentiert und bewertet? Das könnten dann eher wieder brauchbare KPIs sein, die qualitativ hochwertig sind. Einfach nur zu messen wie viele Mitarbeiter sich pro Tag einloggen macht weniger Sinn.